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Was ist normal?

Dass etwas normal für jemanden oder eine ganze Gruppe von Menschen ist, das ist eine soziale Tatsache, wie es der Soziologe Emile Durkheim ausgedrückt hat. Das Essen mit Messer und Gabel ist nicht normal für alle Menschen der Erde in allen Zeitaltern. Aber (ha ha!) dass Essen mit Messer und Gabel für einen Großteil der Bevölkerung in Deutschland normal ist, das ist eine soziale Tatsache. Es ist eine empirische (also messbare) Tatsache für diese spezielle soziale Gruppe.

Jetzt kommt die Nummer mit dem Habitus. Das Wort kennt der eine oder andere vielleicht noch aus dem Biologieunterricht, und zwar von dem Ausdruck Habitat. Damit sind Ort und Lebensumstände gemeint, in dem sich eine bestimmte Spezies von Tier oder Pflanze ausbreitet, darin lebt und sich pudelwohl fühlt. Jetzt hat der Soziologe Pierre Bourdieu nicht Tiere und Pflanzen, sondern Menschen beobachtet. Er hatte im Gepäck schon ein paar Vorannahmen von Karl Marx und dem eben genannten Durkheim, und zwar das Modell der sozialen Klassen, die eine Gesellschaft vertikal einteilt (also in etwa von Unterschicht zu Oberschicht). Bourdieu hat jetzt die Perspektive verändert und sich gefragt: was, wenn wir die Gesellschaft zudem noch horizontal einteilen (also beispielsweise eine Unterscheidung innerhalb der Mittelschichten). Um es mal anschaulich auszudrücken: die Mittelschicht in Europa empfindet andere Dinge als normal als die Mittelschicht in Asien. Die Mittelschicht in Kiel hat andere traditionelle Weihnachtsgerichte als die Mittelschicht in Konstanz.

Das, was Gruppen von Menschen in ihrem Lebensumfeld (Habitat) als normal empfinden, was sie für Kleidung tragen, was sie essen, was sie arbeiten, welche Werte für sie bedeutsam sind, welche TV-Serien sie konsumieren, wie sie sich begrüßen und verabschieden, welche Witze sie sich erzählen, wie sie heiraten und ihren Glauben ausleben, all das, was soziales Handeln ausmacht und für eine bestimmte soziale Gruppe spezifisch ist, das ist der Habitus.