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Gender und Freiheit

Gender und Freiheit

Die Ausgrenzung und Diskriminierung von Nicht-Heterosexuellen nennt Judith Butler auch „die symbolische Abwehr besorgniserregender Möglichkeiten“. Diese Möglichkeit macht manchen Angst: dass es auch anders sein könnte als die Norm, das was für viele als „Normal“ gilt.

Das macht Sinn. Und zwar weil es Sinn und Einfachheit bedroht. Aus all den Möglichkeiten eine Variante rauszusuchen und zu sagen: Ein Mann + Eine Frau = ein „normales“ Paar ist eine Form von Sinn-Konstruktion. Ich finde Sinn, ein für mich brauchbares Muster, in einer Vielfalt von Optionen, die im Grunde alles sein könnten. Ich begrenze die Komplexität „was es sein könnte“ auf etwas, das so groß ist, dass ich es verstehe und sage es ist das „was es ist“. Das Ergebnis ist eine Setzung, die für alle Konsequenzen hat.

Es eröffnet einen Raum, in dem ein „Recht auf Dasein, auf den Status eines menschlichen Subjekts“ manchen gegeben wird und andere gleichzeitig von diesem Recht ausgeschlossen werden. Diese regulierende Kraft von „das ist normal“ macht vor allem eins deutlich: Die Macht, die Normen über uns Menschen hat – wie wir Menschen diese Macht am Leben halten, in dem wir uns immer wieder an diese Normen halten, sie zitieren und uns gegenseitig dazu auffordern, sie zu berücksichtigen.

Ein Tag der Freude ist der Tag, an dem wir dieses Muster durchbrechen, indem wir Sinn infrage stellen und Alternativen, Möglichkeiten, Potenziale erkennen. Ein Hoch auf die Gabe der Reflektion! Ein Hoch auf die Gegenmacht zur Macht der normativen Hegemonie. Hanna Meißner (2012): Butler, S. 25-28.

Postkolonialismus

Was ist Postkolonialismus?

Mit dem Begriff Kolonialismus können sehr viele etwas anfangen. Seit dem 15. und bis zum 20. Jahrhundert haben einige Staaten das Land und die ansässige Bevölkerung in einem anderen Territorium in Besitz genommen und sich verfügbar gemacht. Sie haben zum Beispiel Rohstoffe, Menschen, Wissen und Land erobert und für sich beansprucht. Dies wurde begleitet von der Auffassung der Kolonialisten, selbst „zivilisiert“ und daher überlegen und dem entsprechen wertvoller zu sein als die „Naturvölker“ (in Abgrenzung zur Zivilisation), die sie „erobert“ und versklavt haben. Die Ansässigen hingegen wurden oftmals nicht als Menschen mit gleichem Recht, Verstand und Wert betrachtet, sondern mehr als exotische Wesen, die wie Tiere domestiziert werden konnten. Im Laufe der Zeit haben sich viele Kolonialisten zum Ziel gesetzt, ihre Werte, Ästhetik, Bürokratie, Weltverständnis, Religion und so weiter der lokalen Gesellschaft anzueignen.

Im 20. Jahrhundert kam es schließlich für einen Großteil der betroffenen Gebiete zur Dekolonialisierung, zur weitgehenden politischen Unabhängigkeit der Kolonialstaaten. Postkolonialismus wird ab diesem Zeitpunkt von einigen im Fachdiskurs für die Zeit danach verwendet. Hier nun gibt es verschiedene Perspektiven auf Geschichte. Kritiker des Begriffs mahnen an, dass er einen „endgültigen Abschluss einer historischen Epoche“ suggeriere, „so als wäre der Kolonialismus und seine Konsequenzen definitiv vorbei“. Dem entgegen stehet die Beobachtung, dass erst jetzt Konsequenzen und soziale Prozesse in Gang gesetzt wurden (und bis heute werden) wie etwa die Suche nach alternativen kulturellen Wurzeln der Kolonialisierten: die Suche und Konstruktion einer Geschichte, Entstehungsmythen, Traditionen, Werten, Religionen – kurzum Identitäten, die ohne Kontakt oder Beeinflussung durch die Kolonialisten funktioniert. Dies ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie politisch die Herstellung von Identität oder Sinn ist.

Im Falle des Postkolonialismus kann die Herstellung einer alternativen Identität als ein Befreiungsschlag gegen die Hegemonie, die Vorherrschaft „fremder Herrscher“ verstanden werden. Wenn ich meine Geschichte auch ohne meinen Unterdrücker erzählen kann, bin ich in meiner Identität, in dem was, wer oder wie ich bin, ein Stückchen unabhängiger, freier.

Stuart Hall (2013): Wann gab es das `Postkoloniale´?: Denken an der Grenze, in: Conrad et al (Hrgs.): „Jenseits des Eurozentrismus“, Frankfurt, campus.

Gut und Böse

Der Dualismus von Gut und Böse

Eine kurze kulturtheoretische Einordnung.

Der Dualismus von Gut / Böse, Wir/ die Anderen, Richtig / Falsch ist die erste Voraussetzung für den Tabu-Bruch und das Spiel mit alternativen Subjekt-Rollen. Ebenso ist es die Voraussetzung (und häufig Ursache) für Diskriminierung, Ausgrenzung und Xenophobie.

Paul Metzger schreibt in der Abhandlung über die narrative Figur des Teufels, dass dessen kulturgeschichtliche Voraussetzung die Entstehung des Monotheismus sei (Metzger 2016:13). Erst musste das Bild eines absolut Allmächtigen entstehen, die Idee der Fokussierung von Macht, Ethik, Wissen und Kompetenz in einem absoluten, unfehlbaren Regime: in einem Gott. Als Epizentrum aller Legitimität wird dieser Gott zum Anker der Gesellschaft, an der sie sich moralisch, rechtlich und politisch ausrichtet. Die dualistische Logik eines absolut gedachten Gottes impliziert bereits die Logik eines Teufels, der als Antagonist all das sein muss, was der Protagonist Gott nicht ist (siehe hierzu auch Norbert Bolz 2009: 96. Der Teufel als Narration, die eine Unterscheidung zwischen göttlich und teuflisch ermöglicht.)  Das Profil eines Gottes wird durch die Kontrastierung mit einem Teufel geschärft – ein Profil, dass sich, ebenso wie die Teufelsfigur, im Laufe der Geschichte häufig gewandelt hat und synchron selbst innerhalb der selben Konfession variabel zu finden ist. Überspitzt ausgedrückt: monotheistische Gottesbilder haben ihre äquivalenten Teufelsfiguren.

Die Einteilung in Gut/Böse ist eine Varianz, wie dieser Dualismus verstanden werden kann, wobei mit „Gut“ nicht zwangsweise „lieb“ bzw. ein „lieber Gott“ gemeint sein muss, sondern vielmehr „legitim“ und „richtig“. Dies steht in Abgrenzung zu „Böse“ im Sinne von „falsch“. Dieses Orientierungssystem finden wir auch in den rezenten Gesellschaften wieder, die Gott als Herrscher häufig ersetzt haben mit einer demokratischen Verfassung und den Teufel als Antagonist mit allen anderen Herrschaftssystemen und Akteuren, die diese Verfassung bedrohen oder infrage stellen.

 

Während in vielen monotheistischen Vorstellungen ein Gott mit Schicksalsschlägen, transzendenten Leid oder sonstiger „magischen“ Strafe die Grenzüberschreitungen seines Kanons ahndet, werden diese Überschreitungen in der modernen Verfassung mithilfe der Judikative und Exekutive reguliert. Die religiös legitimierten Herrscher monotheistischer Kulturräume führen und führten durchaus ebenfalls weltliche Strafen durch (mit Bezugnahme auf eine göttliche Legitimität), aber an dieser Stelle steht vor allem das literarische Narrativ als Leitbild einer Rezeptionsgeschichte im Fokus. Dieses Narrativ möchte ich folgendermaßen zusammenfassen:

Es gibt die Guten/ Wir – oder mit einem anderen Fokus die Normalen. Sie handeln legitim und richtig, dem gemeinsamen Regime entsprechend (sei das nun ein Gott oder eine Verfassung). Und dann gibt es die Bösen/ die Anderen. Sie handeln anders als „wir“ es für richtig halten und stellen somit „unsere“ Ordnung infrage. Das Motiv der implizierten Zuschreibung eines politischen Opponenten, des Anders-seins als gleichzeitiger Angriff auf die eigene Ordnung ist für das dualistische Gut/Böse-Narrativ bedeutsam. Es schließt an eine Tradition des Eroberungskampfes, der Missionierung, der Kolonialisierung, der Grenzverschiebung usw. an, bei der eine tatsächliche Gefährdung der Herrschaft realistisch ist und die unser Erzählen von Zeitgeschichte geprägt hat. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass eine der frühsten Eigenschaften des Teufels, die ihm seitdem nahezu durchgängig zugeschrieben wurde, sein Ankämpfen und Infragestellen der göttlichen Machtordnung ist (Metzger 2016: 20-23.).

Neben den expliziten Geboten und Gesetzen, die von System-Herrschaft kontrolliert und durchgeführt wird, gibt es noch ein anderes Set an Gesetzen, dessen Verwaltung vor allem in den Händen der Subjekte selbst liegt: Es handelt sich dabei um das Tabu. Der Begriff stammt aus einer nicht-monotheistischen, animistische religiösen Tradition: dem traditionellen Glauben der neuseeländischen Maoris, die damit Orte bezeichnen, die heilig und gleichzeitig nicht zugänglich für Unbefugte sind (in Abgrenzung zu mana, was heilig und für alle verfügbar ist). Bei dem Betreten des Tabus muss der Akteur mit unangenehmen Folgen rechnen, es sei denn er ist ein entsprechend ausgebildeter und legitim handelnder religiöser Spezialist. An dieser Stelle wird bereits sichtbar, dass Tabus nicht per se verboten sind, sondern der benötigte Passierschein nur für Akteure mit einer bestimmten Anhäufung von Macht/Kompetenz ausgestellt wird. Tabus sind also relativ, anders als monotheistisch gedachte Gesetzte.

Bei dem unbefugten Übertreten eines Tabus greift eine Macht, die häufig nicht explizit formuliert aber sozial eingeübt ist: die soziale Abwertung durch die Gruppe, der Entzug von symbolischem Kapital bis hin zum Ausschluss aus dem System, also dem Entzug des Subjekstatus oder der Markierung als nicht-zurechnungsfähig und damit die Transferierung des Akteurs in die Peripherie der Gesellschaft (wie Michel Foucault mit der Beobachtung über „Wahnsinnige“ zum Ausdruck gebracht hat, Vgl. Foucault 2008.). Auf diese Weise übernehmen Subjekte die Kontrollfunktion der Selbsterhaltung eines Systems, sie handeln als Stellvertreter der Gruppe und sind somit die personifizierte Macht des Systems, das über sich hinaus wirkt: die Norm.

Das Subjekt erhält im Laufe seiner Sozialisierung einen inneren Kompass, nach dem es sein Handeln bewerten und ausrichten soll. Es lernt von seinem Umfeld, durch Beobachtung, durch Reflektion und Resonanz auf sein eigenes Verhalten, wo Gut und Böse liegt auf seiner sozialen Landkarte. Auf diese Weise wird dieser empfindlich korrekte Kompass in einem andauernden Prozess in das Subjekt hineingeschrieben, wird Teil seiner Wahrnehmung und somit Konstruktionswerkzeug seiner Realität. Dieses Instrument zur Orientierung im Raum bezeichne ich als Gewissen.

Norbert Bolz (2009): What´s Puzzling You in: Albert Kümmel-Schnur (Hrsg.): „Sympathy for the Devil”, München: Wilhelm Fink, S.:93-106.

Michel Foucault (2008): „Wahnsinn und Gesellschaft: Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft.“, 17. Auflage. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Taschenbuch

Paul Metzger (2016): „Der Teufel“, Wiesbaden: Marixverlag.

Frau sein?

Man wird nicht als Frau geboren

Man wird es. Simone de Beauvoire.

Selbiges könnte im Übrigens auch über Männer gesagt werden. Was die französische Philosophin und Feministin damit ausdrücken wollte, benannte ihre Kollegin, wie ich Judith Butler sicherlich bezeichnen kann, als das Überwinden des Zwangs und des Schicksals der Biologie (Butler, 1995). Die Idee dieser feministischen Theorie ist, dass es alles andere als „natürlich“ ist, eine Frau zu sein unter der Prämisse aller hinzugedachten und -gedichteten Attribute. Sie richtet sich als direkte Kritik an die Aristokratie der Naturwissenschaft, die seit der bürgerlichen Moderne scheinbar für einen Großteil der Gesellschaft wahrer ist als die anderen Wissenschaften.

Beauvoir und Butler stürzen die Biologie von ihrem Thron, indem sie auf die Naturalisierung von Diskriminierung, Ausgrenzung und Abwertung von Frauen auf Basis biologischer Argumentation hinweisen. Dass die „Natur der Frau“ für manche Tätigkeiten, Charaktereigenschaften oder Handlungsweisen geeigneter sei als für die Dinge, die in der „Natur des Mannes“ liegen, ist noch heute eine verbreitete Meinung. So liege es den Frauen, „familiär, fürsorglich, apolitisch [und] natürlich“ zu sein, während Männer hingegen „wettbewerbsorientiert, politisch [und] sozial gestalte[nd]“ seien (Villa 2012, 42). Es ist nicht unbedeutend, dass ausgerechnet die vermeintlichen Eigenschaften der Frauen mit Aufgabengebieten zusammenfallen, deren gesellschaftliche Wertschätzung geringer ausfällt, aus der simplen Tatsache heraus, dass sie nicht sichtbar werden. Die „Liebesdienste“ der Frauen, die zu einem großen Teil konstitutiv für die Reproduktion von Arbeitskraft sind (Kochen, Waschen, Putzen, Nachwuchs, Zuwendung, Pflege etc.) werden nicht als Leistung gewertet, sondern als die „Natur der Frau“. Es gibt kein symbolisches Kapital für die Arbeit, die nicht sichtbar wird, geschweige denn von finanziellem Kapital. Durch diese Arbeitsteilung entsteht eine gegenseitige Abhängigkeit von Männern und Frauen, die einerseits bezahlte Arbeitskraft und andererseits unbezahlte Reproduktion von Arbeitskraft im Tausch füreinander hergeben (müssen).

Es geht nicht darum, die Naturwissenschaften in ihrer Legitimation zu hinterfragen, sondern darum, ihre Grenzen und politischen Verstrickungen aufzuzeigen, wie sie jede Wissenschaft hat. Dass Männer und Frauen eine „unterschiedliche Natur“ hätten, war einmal eine bahnbrechende neue Erkenntnis. Aber wie es so schön heißt: Alles war einmal neu, bis es alt wurde.

 

Villa, Paula- Irene (2012): Feministische- und Geschlechtertheorien, in: Martha Kampshoff und Claudia Wiepke (Hrsg): „Handbuch Geschlechterforschung und Fachdidaktik“, Wiesbaden: Springer VS, 39-52.