Gender: Perspektiven, Spannungsfeld und Freiheit

Gender eröffnet Perspektiven.

Die Geschlechtsforschung fordert zu mehr Bewusstheit auf. Sie tut nicht nur das, die Auseinandersetzung mit „Gender“ ermöglicht und fördert auch eine Bewusstheitserweiterung auf vielen gesellschaftlichen Ebenen. Gender ist

für das Individuum genauso, wie für spezifische Gruppenkontexte auf persönlicher, beruflicher, psychologischer, pädagogischer und politischer Ebene relevant.

 

Gender ist allumfassend.

Ein Aspekt des psychologisch reflektierten Blicks zur Geschlechtsforschung ist, dass die Gender Thematik kollektiv verleugnet, abgespalten, ignoriert oder aus dem Bewusstsein weggeschnitten worden ist und teilweise wird dieser Umgang mit dem Fremden noch heute so praktiziert.

ZB.: wenn an Neugeborenen, die ohne eindeutige weiblichen oder männlichen Geschlechtszugehörig geboren sind, entsprechende chirurgische oder medikamentöse Eingriffe vorgenommen werden, um sie einer ausschließlich nur weiblichen oder nur männlichen Geschlechtlichkeit zuzuweisen.

 

Diversity ist Normalität.

Vielfalt ist natürlich. Für Gender gilt dieser Grundsatz auch.

Biologische Vielfalt gelten lassen

Aus archaische (aus ältester Herkunft) kulturellen Gesellschaftsformen ist der natürliche Umgang mit vielfältigen Phänomenen von sichtbaren, biologischen Geschlechtsmerkmalen benannt. Hier wurde das Anderssein verehrt und gewertschätzt: in der Antike kamen dem Zwitter besondere Privilegien zu, in Indien wird der Zwitter als Gottheit verehrt.

 

Gesellschaftliche Vielfalt beobachten

Für Indianer ist es natürlich von fünf verschiedenen Geschlechtern auszugehen. Sie sagen es gibt: den Mann, die Frau, den weiblichen Mann, die männliche Frau, den Zwitter. Auf Google gibt es aktuell insgesamt 60 Eintragungen zur geschlechtlichen Identität. Die Gesellschaft ist reif für eine Gender Bewusstseinsrevolution. Unser Zeitgeist ist reif für neue Sichtweisen.

Heute steht Bildung und Wissen deutlicher im gesellschaftlichen Bewusstseinsraum. Auch die unterschiedlichen Wirklichkeiten sind verfügbarer und auf Knopfdruck sofort zugänglich und lassen sich nicht einfach wegwischen respektive ignorieren.

Wird einerseits im vorherrschenden Zeitgeist Egomanie beklagt, so ist andererseits gerade dieses, sich selbst genauer und bewusster wahrnehmen, ein Auftakt für die jetzt bereichernde Offenheit im Umgang mit Gender.

Es braucht Interesse und Neugierde aller Beteiligten, um auszuhalten, dass es nicht ausschließliche Polaritäten gibt, sondern die natürliche Vielfalt.

Mit Gender ist eine psychologische Bewusstheitsevolution eingeleitet worden, die Wahrnehmungen und bewusste Ansprüche an geschlechtsspezifischen Aspekten neu sortiert respektive zusammenfügt. – Unsere Gesellschaft ist reif für neue Sichtweisen.

 

Politische Vielfalt einfordern

Sprachlich hat sich der Gesetzgeber auf: Mann, Frau und Person festgelegt.2017 wurde das gesellschaftliche Recht erstritten, sich selbst in der Geschlechtsangabe als divers zu bekennen. Seit 2019 ist „divers“ offiziell und somit gibt es jetzt die Geschlechtsoptionen: männlich (m), weiblich (w) und divers(d).

Wir können Menschen in Würde begegnen? Wir können uns untereinander mit Identitätsangeboten inspirieren? Diese Fragen bearbeiten wir in unseren Gender Seminaren.

 

Tabu

Was ist ein Tabu

Als Tabu werden in der Regel Dinge, Orte, Personen oder Handlungen bezeichnet, mit denen der Kontakt „verboten“ ist. Dieses Verbot kann juristisch gültig sein oder nur sozial, also durch die Regeln der Gruppe bestehen. Der Professor für bürgerliches Recht Stefan Haack bezeichnet das Tabu als etwas, bei dem „kulturelle `Selbstverständlichkeit´ und geltende `Rechtsordnung´“ miteinander assoziiert werden. Wenn jemand ein Tabu bricht, zum Beispiel durch eine Nazi-Parole oder dem Nacktsein in der Öffentlichkeit, wird sein Verhalten als „nicht angemessen“ bewertet. So ganz legal scheint sein Handeln nicht – egal ob er damit auch Gesetze gebrochen hat.

Seinen Ursprung hat das Wort in Raum Polynesiens, unter anderem in Neuseeland, wo es die indigene Bevölkerung (die Maori) verwendet um etwas Heiliges zu beschreiben, das auch gefährlich ist und nicht entweiht werden darf. Der „Uluru“ (oder auch Ayers Rock genannt) ist so ein Ort, den die Maori als tabu bezeichnen. Der große rote Berg ist für sie heilig, da nach ihrem Glauben dort mächtige transzendente, also übernatürliche Wesen leben. Deshalb darf er nur von religiösen Experten für ausgewählte Rituale betreten werden. Wer dennoch unbefugt den „Uluru“ betritt, muss im Glauben der Maori mit schlimmen (spirituellen) Konsequenzen rechnen.

Nach seinen Forschungen in Polynesien brachte der englische Ethnologe Robert Ranulph Marett 1909 eben dieses Wort „tabu“ nach Europa, zusammen mit dem Ausdruck „mana“. Er versuchte sich damit an einer Religionsdefinition, die er als die tabu-mana-Formel bezeichnete. Dies sei der negative und der positive Modus von übernatürlicher Macht, von „Heiligkeit“. Tabu übersetzte er aus dem polynesischen mit „etwas, dem man sich nicht leichtfertig annähern darf“ und mana mit „etwas mit wunder-bewirkender Macht“.

Ein Tabu ist also keine naturgegebene Sache, sondern vielmehr ein Suchhinweis. Es ist dort zu finden, wo für Menschen etwas wichtig und wertvoll – quasi heilig ist. „Von Tabus kann gesprochen werden, um das zu schützen und zu stabilisieren, was man als Grundlage der eigenen Gesellschaft anerkennt […]“. Bevor wir uns also das nächste Mal ärgern, wenn jemand unsere gute Idee geklaut hat, oder wenn wir böse Blicke für die Jogginghose im Theater einfangen, können wir etwas über uns und unsere Gesellschaftsräume lernen und uns fragen: Mit welchem „sozialen Heiligtum“ habe ich es hier gerade zu tun?

Marett, Robert Ranulph (1909): „The tabu-mana formula as a minimum definition of religion“ in: Archiv für Religionswissenschaft, Band 12, S-186-194.

Haacke, Stefan (2011): Verfassungshorizont und Taburaum, in: Archiv des öffentlichen Rechts 136, S. 365-401.

Fateh-Moghadam, Bijan et al (2015): Säkulare Tabus. Die Begründung von Unverfügbarkeit. Berlin, Matthes & Seitz, S. 15.